Ich frage mich immer wieder, wie sich meine in Deutschland geborenen Kinder definieren werden: werden sie sich mehr zur deutschen oder zur polnischen Kultur zugehörig fühlen? Sie sind zwar hier geboren und haben einen deutschen Papa, aber ihre Mama, also ich, kommt aus Polen. Bei uns in der Familie spielen die polnische Kultur und Sprache eine ganz wichtige Rolle.

Deswegen freue ich mich riesig, dass Alicja auf meinem Blog einen Gastbeitrag in der “Poland to go“-Serie über dieses Thema schreibt. Sie ist mit 4 Monaten nach Deutschland gekommen und hier aufgewachsen, fühlt sich aber trotzdem sehr mit der Heimat ihrer Eltern verbunden.

Liebe Alicja, ich bin Dir sehr dankbar, dass Du Dir so viele Gedanken zum Thema “Meine Identität” gemacht hast und bin berührt von Deinem schönen Artikel! Vielen herzlichen Dank dafür! Serdeczne pozdrowienia i podziękowania za piękny i wzruszający artykuł!

Meine polnisch-deutsche Identität – ein Gastbeitrag von Alicja Grießhammer

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„31 Jahre jung, Polin. Fränkin. Mama von Mausi. (geboren Dez. 2014). Kochen. Kleinere Reisen. Häkeln. Managerin des Alltags.“ – mit diesen Worten stelle ich mich auf meinen Blog Wiktoria‘s Life vor. Diese Worte tippte ich völlig selbstverständlich in das Profil. Doch was sich für mich natürlich anfühlte, war für Dominika von „From Munich with Love“ dann doch etwas ungewöhnlich. Ich bin in Deutschland aufgewachsen, habe seit 7 Jahren die doppelte Staatsbürgerschaft, lebe ein deutsches Leben. Warum erwähne ich dennoch im ersten Satz meiner Vorstellung, dass ich Polin und Fränkin bin? Wie konnte ich diese Bindung in mein Vaterland erhalten, ohne dessen ständige Präsenz im Alltag?

Offen gestanden haben mich diese Fragen auch etwas überrascht. Weil ich nämlich nie darüber nachgedacht habe. In diesem Beitrag versuche ich, eine Antwort darauf zu finden.

Die polnische Kindheit – in Bayern

Meine Eltern verließen Polen in November 1985, da war ich gerade einmal vier Monate alt. Meine frühe Kindheit verbrachte ich in einer Wohngegend, in der ebenfalls sehr viele Polen wohnten. Nicht nur, aber eben viele. Zu Hause sprachen und sprechen wir ausschließlich polnisch. Obwohl ich fast von Geburt an in Deutschland war, hatten wir dennoch eine starke polnische Gemeinschaft um uns herum.

Bis zum Besuch des Kindergartens habe ich kaum die deutsche Sprache gehört geschweige denn gesprochen. Ich meine, dass dies der Grund war, warum meine Eingewöhnung gute drei Jahre gedauert hat – überspitzt ausgedrückt. Ich tat mir schon sehr schwer, machte meiner Mutter sehr lange die dramatischsten Szenen. Es war nicht leicht für uns.

Der Wurf ins kalte Wasser hat mich aber dazu gezwungen, schnell die Sprache zu lernen. Bereits in der Grundschule war „die Ausländerin“ eine der besten Schülerinnen im Deutschunterricht.

Durch die Selbstverständlichkeit, zu Hause nur polnisch zu sprechen, wurde die Türschwelle zur sprachlichen Grenze. Dahinter wurde polnisch geredet, davor deutsch. Dieses Konzept hat sehr gut funktioniert. Das gilt genauso für meine in Deutschland geborenen Geschwister. Dies war meiner Meinung nach identitätsstiftend, denn beide Einflüsse hatten ihren Raum.

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Danzig (Gdańsk), Foto: Alicja Grießhammer

Polnische Schule

Ab der dritten Klasse ging ich zusätzlich in die polnische Schule. Dieser Unterricht wurde vom Konsulat in München organisiert. Wir fuhren zwei mal im Jahr zu Prüfungen hin. Ich hatte also Hausaufgaben für ein halbes Jahr und legte am Ende des Schuljahres einen Leistungstest ab. Ab der fünften Klasse wurde der Unterricht auch in Nürnberg angeboten, alle zwei Wochen am Samstag, ganztägig. Meine Schwester und ich wurden hingeschickt. Wir mussten Samstags um 5 aufstehen, in den Zug steigen und nach Nürnberg fahren. Wir haben es wirklich gehasst. Alle Kinder konnten Samstag Freizeit haben, nur wir mussten in diese doofe Schule gehen. Wir haben gestritten, geschimpft und gepoltert. Aber geändert hat es nichts, unseren Eltern war es so wichtig, dass wir die polnische Sprache lesen und schreiben können, dass wir die polnische Geschichte lernen, dass sie keinen Widerstand tolerierten.

Dank dieses Unterrichts konnte ich nach 8 Jahren den polnischen Hauptschulabschluss machen. Meine Schwester ging nach der 6. oder 7. Klasse ab. Heute bin ich dafür dankbar, aber damals war es wirklich sehr lästig. Und es war ein ewiger Kampf. Weshalb sich meine Eltern den Zirkus mit meinem Bruder gar nicht mehr angetan haben. Er hat polnisch zu Hause gelernt.

Sommerferien? Na klar, vier Wochen Polen!

Meine Eltern arbeiten bzw. arbeiteten am Theater. Sie hatten jeden Sommer sechs Wochen Sommerpause, von denen sich vier mit den Sommerferien überschnitten. Diese Zeit verbrachten wir komplett in Polen. Mit den Jahren hat es mich genervt. Während meine Schulfreunde nach Italien und Spanien gereist sind, fuhren wir „wie immer nur nach Polen“. Dass andere Kinder gar nicht wegfahren konnten, habe ich schlichtweg nicht zur Kenntnis genommen.

Obwohl ich das Kind war, dem die Sommerferien immer zu lang waren, genoß ich sie sehr. Während meine Schulfreunde jede Woche zur Oma zu Mittag aßen, war ich dankbar, meine Omas endlich mal wieder in den Arm nehmen zu können. Dadurch hat die Familie an sich für mich einen enorme Bedeutung bekommen.

Diese Zeit hat mich sehr geprägt, denn sie hat mir ermöglicht, das polnische Leben so echt wie möglich zu leben. Und meine Verbundenheit zu dem Land zu stärken.

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Warschau (Warszawa), Foto: Alicja Grießhammer

Und dann wurde ich Mama

Diese Bindung hat sich mit der Geburt meiner Tochter noch einmal intensiviert. Denn meine polnische Seite ist etwas sehr intrinsisches. Sie hat im Alltag die klar untergeordnete Rolle. Mit einem deutschen Ehemann und einem deutschen Leben ist dies auch nicht weiter verwunderlich. Doch als unsere Kleine zur Welt kam, wurde mir dies noch einmal so richtig bewusst.

Ich hatte mir wirklich, ernsthaft vorgenommen, unsere Tochter zweisprachig zu erziehen. Und so sehr ich mir Mühe gebe, so sehr ich es versuche – ich kann bis heute nicht wirklich behaupten, dass es mir gelingt. Meine Eltern sprechen  ausschließlich polnisch mit ihr, und ich merke, dass sie mit ihren fast zwei Jahren schon sehr viel polnisch versteht. Ihr Wortschatz ist bisher aber durchgehend deutsch. Mein Anteil daran liegt zur Zeit hauptsächlich am Vorlesen polnischer Bücher. Ich arbeite daran, dass auch ich mich mehr an ihrer sprachlichen Entwicklung beteilige.

Für mich war es von Anfang an bedeutend, dass sie beide Pässe bekommt. Sie ist Polin wie Deutsche und wenn schon das deutsche Leben so stark dominiert, dann sollten zumindest die Formalitäten stimmen.

Meine Tochter ist es, die mich motiviert noch öfters nach Polen zu reisen. Mindestens einmal im Jahr – das war der Plan. Doch die Realität ist anders. Meine Eltern haben während meiner Kindheit keine anderen Orte bereist. Sie wollten es auch gar nicht, denn sie wollten selbstverständlich immer zu ihren Familien. Wir aber sind neugierig auf die Welt. Mein Mann kennt Polen inzwischen auch sehr gut und wir reisen einfach unheimlich gerne. Heute ist mein Anspruch, mindestens alle 2 Jahre nach Polen zu fahren, auch wenn ich nach einem Jahr schon dieses sehnsüchtige Kribbeln empfinde. Aber zwei Urlaube im Jahr – einmal nach Polen und einmal irgendwo anders hin – das ist zur Zeit nicht machbar.

Eigene Wege gehen

Heute halte ich mich für eine recht gelungene Mischung aus beiden Ländern. Es gibt schon Unterschiede in den Mentalitäten. So sind die Deutschen bekanntermaßen eher bürokratisch, ordentlich und korrekt. Das kann man von den Polen nur bedingt behaupten! Es herrscht dort eine Gelassenheit und Unkompliziertheit, die mir manchmal auf den Keks geht. Mein Papa winkt dann immer ab und behauptet, ich sei ja „so deutsch“ geworden. Doch genau das ist es, was ich an mir selbst gerne mag. Wenn es wichtig ist und es drauf ankommt, kann ich sehr spießig sein. Dafür kann es an anderer Stelle wieder lockerer zugehen, ohne das gleich die Weltordnung in sich zusammenbricht.

Das soll jetzt alles gar nicht so verklärt klingen. Über diese Dinge mache ich mir nämlich sonst nie Gedanken, ich bringe sie hier zum ersten mal zu Papier. Versuche zu erklären, wie ich zu dieser polnisch-deutschen Mischung geworden bin. Denn es gibt noch diesen einen sehr großen Punkt in meiner Biographie, der unpolnischer nicht sein könnte: die Religion.

Die Polen sind ein sehr katholisches Volk. Meine Familie ging jeden Sonntag in den Gottesdienst. Zur großen Freude meiner Eltern wurde in unserer Gegend einer in polnischer Sprache angeboten. Ich empfing die Kommunion und ging zur Firmung.

Die ersten Fragen stellte ich bereits in der dritten Klasse. Doch die ernsthaften Zweifel kamen mit 17 oder 18. Mit 20 wurde ich zur Atheistin. Mit 24 hatte ich genug Mut, diese doch große und starke Wurzel in meinem Leben zu kappen: Ich bin aus der Kirche ausgetreten.

Es hat mich enorm viel Kraft und Überwindung gekostet, es meiner Mutter zu sagen. Sie nahm es persönlich, fragte sich, ob sie etwas in der christlichen Erziehung falsch gemacht hätte. Es hat Jahre gedauert bis sie verstanden und akzeptiert hat, dass es einfach meine eigene Entscheidung war, an keinen Gott zu glauben und keiner Kirche anzugehören. Mein evangelisch getaufter und erzogener Mann verließ die Kirche ein Jahr später. Unsere Tochter haben wir gar nicht erst taufen lassen. Heute sehen wir uns als Humanisten bzw. Atheisten.

Wer ich bin?

Ich bin Alicja. Fränkin. Polin. Mama eines kleinen Wirbelwindes. In meiner Brust schlagen zwei Herzen, die sehr gut zusammen harmonieren.

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Alicja Grießhammer

Wiktoria's Life
Wiktoria's LifeMade by Alicja Grießhammer